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Geboren am 17.03.1928 in Altendorf / Kr. Unna. (Foto: Dr. h. c. Heinrich Krämer /
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Eintritt in die Firma B. G. Teubner KG: Juli 1969. Ausgeschieden: April 1999. Geschäftsführer der B. G. Teubner GmbH
Stuttgart |
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Interview mit
Heinrich Krämer.
Schwieberdingen, im August 2014:
Fragen 1-10: Siegfried Otto und B. G.
Teubner.
Erste Frage:
Siegfried Otto hat Sie 1969 zum alleinigen
Geschäftsführer
des Verlages B. G. Teubner in Stuttgart berufen.
Wann und wo sind Sie Siegfried Otto erstmals begegnet?
Heinrich Krämer:
Ich lernte
Siegfried Otto in der ersten Junihälfte 1969
in der Firma Giesecke & Devrient in München kennen. Dieses erste
Gespräch vermittelte Freiherr Karl-Georg von Stackelberg, Inhaber des
Meinungsforschungsinstituts EMNID in Bielefeld.
Gesprächsanlaß waren
Übernahmeverhandlungen, die Otto mit den Gesellschaftern der Verlagsfirma
B. G. Teubner in Stuttgart führte. Um die Kaufverhandlungen abschließen
zu können, suchte Otto einen Verlagsfachmann für die Führung der Firma
zu gewinnen; er gab seinem ersten Mitarbeiter Dr. Dr. Werner
Zawade den
Auftrag, den Verleger in 10 Tagen zu finden. Die Empfehlung gab ihm
Freiherr von Stackelberg.
Das Gespräch dauerte drei Stunden an einem Samstagmorgen. Anhand
des
vor uns liegenden, mit bibliographischer Strenge aufgebauten,
54 Seiten umfassenden
„Verlagskataloges B. G. Teubner 1968“ stellte mir
Otto zentrale Fragen: „Wo steht
und welche Bedeutung hat heute der Verlag
B. G. Teubner im deutschen
Verlagswesen? Wie unterscheidet er sich von
der Teubnerschen Verlagsfirma, die
bis zum Kriegsende 1945 ein
maßgebender wissenschaftlicher Verlag und der
größte deutsche
Schulbücher-Verlag war?“ Ich erinnerte daran, daß wir in den
dreißiger
Jahren und noch in den vierziger Jahren mit Teubner-Schulbüchern
aufgewachsen, durch B. G. Teubner erzogen worden sind, daß aber durch
Kriegsfolgen dem Verlag in Leipzig alle Schulbücher entzogen und ihre
Produktion
untersagt wurde. Die auf
mathematisch-naturwissenschaftlich-
technische Fachbücher eingeschränkte Firma habe die
Führungsrolle nicht
mehr spielen können und arbeite heute nach meinem
Eindruck eher an der
Peripherie des Verlagsbuchhandels. Daß Teubner die
Schulbücher
fehlten, hatte Otto schon lange als einen gravierenden
Mangel der
Verlagsentwicklung erkannt. Er gehörte seit 1956 dem Beirat der
Teubnerschen Firma an; sein Vetter
Martin Giesecke, persönlich
haftender
Gesellschafter von B. G. Teubner, war Mitglied des Aufsichtsrates
von
Giesecke & Devrient. Ich erfuhr von den engen
verwandtschaftlichen und
wirtschaftlichen Bindungen zwischen beiden Firmen seit mehr
als hundert
Jahren. Otto bestätigte mir auch sein Martin Giesecke
gegebenes
Versprechen, ihm beizustehen, wenn einmal Existenzprobleme
entstehen
sollten. Dieses Treuegelöbnis war grundlegend für Siegfried
Ottos
Entscheidungen. Martin Giesecke war im Oktober 1965 in Stuttgart
gestorben. Die Probleme entstanden in dem folgenden Jahrfünft.
B. G. Teubner besaß nicht hinreichendes Geschäftskapital. Umsatz und
Ertrag
ermöglichten nicht die für den Aufstieg der Firma notwendigen
Investitionen. Otto strebte eine gesellschaftsrechtliche Bindung zwischen
den
Firmen durch Eigentumsübergang der Verlagsfirma an das
Unternehmen
Giesecke & Devrient binnen einer kurzen Frist an. Deshalb
teilte er mir fünf
Tage nach unserem Gespräch telephonisch mit, daß er
jetzt zu den entscheidenden Besprechungen mit den Gesellschaftern von
B. G. Teubner,
besonders dem persönlich haftenden Gesellschafter Erich
Ackermann, nach
Stuttgart fahre. Das Ergebnis erfuhr ich am folgenden
Tag in einem sehr
ausführlichen Gespräch mit Otto bei G+D. Er bat mich, an
den
Vertragsverhandlungen mit den Firmenjuristen und Wirtschaftsprüfern,
die bis in die
Nacht dauerten, teilzunehmen. Otto diktierte ex tempore
Hauptteile des
Kaufvertrages. Zwischen Siegfried Otto und den
Gesellschaftern der B. G.
Teubner-Grundbesitz-Gesellschaft Ackermann
& Giesecke, die alle
Geschäftsanteile der Firma B. G. Teubner besaß,
wurde im Juli 1969 der
Kaufvertrag geschlossen. Nach Umwandlungsgesetz
wurde B. G. Teubner zum
31. Dezember 1969 als Tochtergesellschaft von
Giesecke &
Devrient in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung
umgewandelt. Als
alleiniger Geschäftsführer übernahm ich die Führung
der Firma B. G.
Teubner.
Noch vor dem
Vertragsabschluß bat mich Otto, wenn möglich schon Anfang
Juli als
Generalbevollmächtigter von Giesecke & Devrient die Geschäfte bei
Teubner zu
übernehmen und binnen kurzem Erich Ackermann abzulösen.
Am 5. Juli 1969
trat ich in den Verlag ein. Die Übernahme der Geschäfte
und die Ablösung des
Komplementärs erstreckte sich bis Ende Oktober. Im
zweiten Halbjahr
1969 nahm ich die Aufgabe wahr, den Eigentumsübergang
mitzuvollziehen
und erste Voraussetzungen für den Neuaufbau des Verlages
zu erfüllen.
Gleichzeitig vertieften wir gemeinsam die Beziehungen zu dem
führenden privaten
Schulbücher-Verlag Hölder-Pichler-Tempsky in Wien,
den Alfred
Giesecke 1938 erworben hatte und an dem B. G. Teubner eine
wichtige
Beteiligung hielt, die im Herbst 1969 durch Kauf eines Anteils
vergrößert werden
konnte, und schufen ein vertrauensvolles Verhältnis mit
der
Geschäftsführerin Lydia Gross.
Zweite Frage: Welche Richtung nahmen Ihre Gespräche
mit Siegfried Otto 1969/1970?
Heinrich
Krämer:
Siegfried Otto hat
den Neuaufbau des Verlages, den
ich ihm nach Plan
und Ausführung begründete, mit wachsendem Interesse
verfolgt und durch
seinen vorwärts drängenden Geist, der mir Vorbild wurde,
im Sinne
der Gesamtausrichtung der Firma in erheblichem Maße beeinflußt.
Im Sommer und
Herbst 1969 besuchte ich, da meine Familie noch in
München wohnte,
Siegfried Otto immer am Sonntagmorgen in seiner Firma;
er war auch an
Sonn- und Feiertagen stets im Hause G+D. Wir sprachen
über den
Entwicklungsstand von B. G. Teubner und die von mir
vorgesehenen
Schritte zur Neuausrichtung der Firma. Die Sonntagsbesuche
wurden mir
besonders wichtig: ich lernte einen großen, weitdenkenden
Unternehmer
kennen, der mir seine Ideen, die G+D zu einem führenden
Privatunternehmen
im Wertpapiergeschäft wiedererstehen ließen, und seine
künftigen
Unternehmensziele erläuterte. Seit 1957 druckte Otto
wieder
den
größten Teil der deutschen Banknoten, mit dem „blauen Hunderter“
an
der Spitze;
fünfzehn Jahre später stellte er auch auf der von ihm völlig
neu konstruierten
modernsten Rundsiebanlage der Welt in Louisenthal am
Tegernsee das
Banknotenpapier für die Bundesbank her; 1970 schuf er
gemeinsam mit
Eckart van Hooven, Vorstand der Deutschen Bank, den
Eurocheque, um
abwehrend der amerikanischen Ideologie der „checkless
and cashless society“
zu begegnen. Wir führten diese Gespräche stets ein
bis zwei Stunden lang
auf- und abgehend in seinem großdimensionierten
Arbeitszimmer. Als
wir Mitte Juli 1969 den Dienstvertrag abschlossen,
sagte er mir
lachend mit Blick auf den kurzen Zeitraum, in dem wir uns erst
kannten: „Jetzt
können wir uns nur noch wechselseitig enttäuschen.“
Das
Rumpfgeschäftsjahr 1969 schloß, wie erwartet, noch mit einem Verlust
ab. Im ersten
vollen Geschäftsjahr 1970 wurde der hohe Verlust getilgt und
ein erster
bescheidener Gewinn erzielt. Über diese Entwicklung war Otto
befriedigt. Der
Neuaufbau trug Früchte. Ich unterrichtete ihn regelmäßig
über die
Arbeitsergebnisse, namentlich durch meine ausführlichen
Geschäftsberichte.
In den ersten fünf Geschäftsjahren konnten die
Gewinne vor
Steuern bis zu 650.000 DM jährlich gesteigert werden.
Otto
sagte zu einem Firmenpartner: „Krämer verdient Geld in Stuttgart.“
Bis zum Tode von
Siegfried Otto, also in 27 Geschäftsjahren, blieb
B. G. Teubner ein
gewinnträchtiges Unternehmen, wirtschaftlich
'unabhängig, mit hoher
Eigenkapitalquote von mehr als 50% und die
Stabilität sichernden Gewinnrücklagen.
Sie erlaubten B. G. Teubner auch,
den Teubnerschen Verlag in Leipzig
1991 von der Treuhandanstalt
Berlin für rund eine Million DM aus
eigener Kraft zu erwerben.
Siegfried Otto verzichtete seit 1980 stets auf eine Gesellschafterdividende.
Gegenüber seinem
Finanz-Geschäftsführer sagte er: „Krämer braucht
das verdiente Geld
für seine Investitionen bei der Weiterentwicklung der
Muttergesellschaft
in Stuttgart und beim Neuaufbau der Tochtergesellschaft
in Leipzig.“
Siegfried Ottos Einsichten schlossen immer den Kern des
Unternehmertums
ein: „Geld ist nichts anderes als eine gut realisierte Idee.
Ohne die
Idee können wir nicht schöpferisch sein. Die Ideen geben dem
Unternehmer
die Schöpferkraft und dem Unternehmen das Leben.“
Dritte Frage: Ihre Vorgänger bei B. G. Teubner in Stuttgart waren
Martin Giesecke (1908-1965) und Erich Ackermann (1900-1983).
Wie würdigen Sie die letzten Vertreter der Inhaberfamilien?
Heinrich
Krämer:
Martin Giesecke,
Ururenkel des Firmengründers
Benedictus
Gotthelf Teubner, wurde 1932, nach nicht abgeschlossenem
Studium der
Jurisprudenz und Nationalökonomie, als persönlich haftender
Gesellschafter in
die Firma B. G. Teubner berufen, um seinen 1931
plötzlich gestorbenen Vater
Konrad Giesecke zu ersetzen und seinen
Onkel Alfred Giesecke in
der Firmenführung zu unterstützen.
In diesem Jahr
1932 wurde für B. G. Teubner ein neues Gesellschaftsrecht
begründet.
Alleininhaberin aller Geschäftsanteile des Verlages und
graphischen Betriebes sowie
aller Betriebsgebäude wurde die neu als
Kommanditgesellschaft gegründete B. G.
Teubner-Grundbesitz-Gesellschaft
Ackermann & Giesecke. Zwei juristische
Personen bildeten die
Komplementäre der
Verlags-Kommanditgesellschaft: die B. G. Teubner
Buch-Gesellschaft mbH, die den Inhabern
von B. G. Teubner die Führung
vorbehielt, sowie die
Teubner-Redaktions-Gesellschaft mbH, die bewährten
Mitarbeitern als Verlagsdirektoren,
welche nicht Mitinhaber waren, den Weg
in die Geschäftsführung
öffnete. So wurde unter Wahrung der
Besitzverhältnisse die
Geschäftsführung auf eine neue Grundlage gestellt.
Die
Verlagsfirma
war
die erste „GmbH & Co. KG“ in Deutschland.
Martin Giesecke
führte wie sein Vater den großen graphischen Betrieb.
Die Zerstörung des
Verlages und graphischen Betriebes durch die
Bombenangriffe am 4. Dezember
1943 lähmte das Geschäft der Firma,
deren Wiederaufbau in den Folgejahren
erschwert war, sie konnte aber ihre
notdürftig aufrecht erhaltene
Tätigkeit bis zum Kriegsende fortsetzen. Nach
dem Tod seines Onkels Alfred
Giesecke im November 1945 war Martin
Giesecke alleiniger geschäftsführender
Gesellschafter; wegen seiner
Zugehörigkeit zur NSDAP, die als ein
persönliches Opfer zur Sicherung der
Firma galt, entzog ihm die sowjetische
Besatzungsmacht die Führung des
Unternehmens. Im Januar 1947 gründete er
in Leipzig die B. G. Teubner
Verlagsgesellschaft, der die Besatzungsmacht im
August 1947 die Lizenz
erteilte, die aber auf wissenschaftliche
Literatur und Fachliteratur unter
'Ausschluß von Schulbüchern
beschränkt wurde. Den graphischen Betrieb
baute Martin Giesecke neu auf;
1948 war er wieder fähig, den
komplizierten Satz des
Thesaurus
linguae Latinae
zu bewältigen.
Der private Verlag
B. G. Teubner war fortwährend existenzbehindernden
Angriffen der
DDR-Behörden ausgesetzt, welche die Verstaatlichung
forderten;
zeitweilig wurde er unter staatliche Treuhandschaft gestellt.
Da die
Entscheidungsfreiheit der Firma existenzgefährdend bedroht
wurde, sah sich Martin Giesecke
gezwungen, im Oktober 1952 mit
seinem ersten Mitarbeiter Dr. Herbert Heisig
aus der DDR zu entfliehen
und den Sitz des Verlages rechtswirksam nach
Stuttgart zu verlegen.
Der Leipziger Betrieb wurde als staatlich gelenkte
Firma widerrechtlich
bis 1990 weitergeführt.
Die
Aufbauleistung Martin Gieseckes in Stuttgart war bewunderungswert.
Er entwickelte in
zwölf Jahren, die ihm verblieben, ein erneuertes
Verlagsprogramm
auf den mathematisch-physikalischen und technischen
Gebieten, das
seiner Firma die Existenz sicherte und regelmäßige, wenn
auch kleine, Gewinne
ermöglichte.Zu diesem Erfolg trugen die unter seiner
Führung
geschaffenen Standardwerke
Volger,
Haustechnik
,
Klein,
Einführung
in die DIN-Normen,
sowie
Brauch / Dreyer /
Haacke,
Mathematik
für Ingenieure,
und
Holzmann / Meyer /
Schumpich,
Technische
Mechanik,
bei.
Fünf Jahre nach
der Sitzverlegung erteilte er bereits den engsten
Leitenden Mitarbeitern
Pensionszusagen. Die damit verbundenen
gewinnmindernden Passivierungen
trug die Firma in wirtschaftlicher
Unabhängigkeit. Den acht Jahre dauernden
Kampf um das Verlagsrecht
des
Thesaurus
linguae Latinae
konnte er gegen
den Vertragspartner,
die Internationale Thesaurus-Kommission, für den Verlag in
Stuttgart nicht
gewinnen, da die Kommission mit dem Leipziger Betrieb
paktierte und
entgegen dem westlichen Recht und der
höchstrichterlichen
Rechtsprechung handelte.
Martin Giesecke
starb 1965 im Alter von 58 Jahren. Ich habe ihn nicht mehr
kennengelernt. Er
war ein Mann vornehmer Gesinnung. S. Otto sagte mir,
daß sein Vetter Martin
bereits in Leipzig als „Cunctator“ galt, als Zögerer,
der jede Entscheidung mit
größter Besonnenheit bedachte und vorsichtig
im Handeln war. Dadurch gab
er aber wohl seiner Firma Verläßlichkeit und
Sicherheit. Das historische
römische Vorbild war der Consul und Dictator
Quintus Fabius Maximus (3. Jh. v.
Chr.),
Cunctator
genannt, da er durch
seine Taktik des Hinhaltens und
Verzögerns der Entscheidungsschlacht
gegen Hannibal im 2. Punischen Krieg
auswich. Der Dichter Ennius pries
ihn als Retter mit dem Vers:
unus homo
nobis cunctando restituit rem.
(Ein einziger Mann hat uns durch Zögern den
Staat wiederhergestellt.)
Siegfried Otto berichtete mir, daß er 1948, nach
dreijähriger sowjetischer
Gefangenschaft, auf der Rückfahrt nach Deutschland
mit dem gewählten
Bestimmungsort Hof in Bayern, den Zug in Leipzig
verlassen und Martin
Giesecke aufgesucht habe: „Martin, was tust Du noch hier in
Leipzig?“
Er wollte mit ihm in den Westen fahren. Otto war auf dem Wege der
Neugründung der Firma Giesecke & Devrient in München. Vetter Martin
aber blieb
noch vier Jahre in Leipzig, um seines wiederaufgebauten
graphischen
Betriebes und Verlages und um seiner Mitarbeiter willen.
Erich Ackermann,
Urenkel des Gründers, übernahm 1965 für vier Jahre
die Geschäftsführung
von B. G. Teubner in Stuttgart. Er war, gleichzeitig
mit Martin Giesecke,
1932 als persönlich haftender Gesellschafter in die
Firma eingetreten, ihm
unterstanden die technischen Redaktionen, die
sein Vater Alfred Ackermann
bis 1916 geführt hatte. Erich Ackermann
verdankt der
Verlag die Herausgabe des Führungswerkes für das
Bauwesen,
Wendehorst,
Bautechnische Zahlentafeln
(1934),
sowie die
Begründung des Zentralwerkes
Moeller,
Leitfaden
der Elektrotechnik,
dessen erster Band
Grundlagen
der Elektrotechnik
(1933), mit drei
Farben ausgestattet, sieben Jahrzehnte mit 17
Auflagen an der Spitze
der deutschen Lehrbücher dieses Faches stand.
Wegen
gesellschaftsrechtlicher Auseinandersetzungen zwischen den
Familienzweigen Roßbach-Giesecke und Ackermann, deren Anlaß die
jüdische Abkunft
der Gemahlin von Alfred Ackermann war, verließ Erich
Ackermann 1936 die
Firma, wirkte als landwirtschaftlicher Unternehmer
und war bis zum
Kriegsende in hoher Offiziersstellung an der Ostfront im
Nachschubwesen
tätig. Aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft kehrte er
erst 1954 nach
Westdeutschland zurück. Als Komplementär mit
unveränderter Beteiligungshöhe
von 50% der Geschäftsanteile wirkte er
wieder in der B. G.
Teubner-Grundbesitz-Gesellschaft Ackermann &
Giesecke und unterstützte
Martin Giesecke beim Neuaufbau des Verlages.
Seine Verhandlungen mit
den Ministerien in Wien führten die Rückerstattung
der
Gesellschaftsanteile der Kommanditisten von Teubner an dem
Schulbücher-Verlag Hölder-Pichler-Tempsky, Wien,
herbei, die der
Österreichische
Staat 1956 freigab. Diese Beteiligung, welche durch
Vergrößerung die
Sperrminorität erreichte, behielt für B. G. Teubner bis zum
Ende der
neunziger Jahre ihren hohen wirtschaftlichen Wert.
Dem Wirken von
Erich Ackermann für den Verlag B. G. Teubner in Stuttgart
war in
vier Jahren ein die Aufwärtsentwicklung fördernder und die Existenz
sichernder Erfolg nicht beschieden. Die
Etablierung der Firma im Stadtteil
Vaihingen 1967/68 strapazierte durch hohe Mietzinsbelastung die für den
Aufbau
noch nicht hinreichende wirtschaftliche Kraft des Verlages. Die für
den Ertrag entscheidenden technischen Disziplinen litten unter zu geringem
Titelnachschub. Die Altertumswissenschaft stagnierte wegen der
Beschränkung auf Nachdrucke. Die Folge war wirtschaftliche Not.
Die
Gesellschafter mußten die Existenzfrage stellen.
Ich arbeitete mit
Erich Ackermann täglich im Laufe von vier Monaten
zusammen. Seine
Kenntnis der Verlagsproduktion aus vier Jahrzehnten und
seine reiche
universelle Firmenerfahrung kamen mir zugute. Ich erfuhr viel
über seine
Beziehungen zu Alfred Giesecke, den um dreißig Jahre älteren
Partner in der
Geschäftsführung, von dem er Entscheidendes lernte und
für den er
wichtige juristische Verhandlungen führte, namentlich mit
Bruno Hauff, dem
Inhaber des Georg Thieme Verlages, deren Ziel eine
gesellschaftsrechtliche Bindung zwischen B. G. Teubner und Thieme war,
die
jedoch nicht beschlossen wurde.
In vielen Gesprächsabenden mit Erich
Ackermann gewann
ich neue Einblicke in den letzten großen Verlagskatalog
B. G. Teubner
1933. Ich lernte von ihm, wie und warum sich dieser einstmals
größte Verlag in
Deutschland so machtvoll und zielsicher auf dem
wissenschaftlichen
und Schulbücher-Markt ausbreitete. Ich erkannte die
Planungskraft und
das Durchführungsvermögen der Redaktionsleiter, die als
Verleger handelten
und den Verlag mit höchster Verantwortung gestalteten.
Alfred Giesecke
hatte in den zwanziger Jahren den Typus des
Redaktionsleiters geschaffen, den es
in keinem deutschen Verlag gab.
Dadurch stellte er den Autoren und
Herausgebern die Fachkraft im Hause
als anregenden und lenkenden Partner
zur Verfügung. Herausgebern und
Autoren war Erich Ackermann
ein souveräner Gesprächsführer. Der Blick
in seine Lebensgeschichte
beeindruckte bedeutende Autoren wie Henry
Görtler, den Herausgeber der
Leitfäden der angewandten Mathematik und
Mechanik,
zutiefst, so als Ackermann
1969 in Freiburg an
Felix Klein
erinnerte, den Freund seines Vaters
Alfred
Ackermann, den er von seinen
Besuchen im väterlichen Schloß Gundorf bei
Leipzig kannte.
Als hervorragend
ausgebildeter Jurist und Humanist, der auch an der
Gregoriana in Rom studiert
hatte, bestach er durch sein Argument, als
Partner durch seine intime
Fachkenntnis und Überzeugungskraft. Als er
in Pension ging, habe ich ihn öfter in
München besucht, stets mit gutem Rat
versehen:
„Lassen Sie den Wendehorst nicht zu einem unhandlichen
Nachschlagewerk
anschwellen. Der Band muß immer nur die täglich
gebrauchten wichtigsten Werte
enthalten. Er erfüllt seinen Zweck am besten
als Führer in der
Westentasche.“ Gespräche
mit maßgebenden Kollegen,
etwa mit Carl Hanser,
Rudolf Oldenbourg und Günter Hauff, zeigten ihn als
Mann von verlegerischer Erfahrenheit und von seltener Klugheit.
Vierte Frage: Sie hatten in den sechziger, siebziger und achtziger
Jahren noch die Möglichkeit, Gespräche mit mehreren früheren
Teubner-Mitarbeitern aus Leipzig zu führen. Damit erhielten Sie
authentische Firmeninformationen über einen Zeitraum bis
zurück in die zwanziger Jahre, und zwar aus erster Hand.
Heinrich
Krämer:
Mit den Leitenden
Mitarbeitern des alten Leipziger
Verlages pflegte
ich eine enge produktive Zusammenarbeit.
1. Dr. Herbert Heisig (1904-1989).
Er trat
1933 als Redaktionsleiter der
mathematisch-naturwissenschaftlichen Redaktion in den Verlag ein. Im
Jahre 1947 wurde
er in Leipzig zum Lizenzträger des neuen Teubnerschen
Verlages berufen.
Als Verlagsdirektor war er engster Mitarbeiter von
Martin Giesecke,
und zusammen flohen beide im Oktober 1952 nach
Westberlin. In der
Dahlemer Villa von Professor
Ferdinand Sauerbruch,
mit dem Giesecke
durch schwesterliche Heirat verwandt war, fand die
erste
Planungskonferenz für den Stuttgarter Verlag statt.
Dr. Heisig stand
mir in seiner Pensionszeit bis 1978 für die mathematische
und physikalische
Planung zur Verfügung. Er war noch von Dr. Alfred
Giesecke für die
Redaktion ausgebildet worden. Der Geist der Firma war
in ihm lebendig.
Ihm vertraute ich im Herbst 1969 die redaktionelle
Führung des ersten
neuen Verlagswerkes Dobrinski / Krakau / Vogel,
Physik für
Ingenieure,
und die unterstützende Führung der Autoren in der
ein Jahr
umfassenden Herstellungszeit an. Er sorgte für die Herausgabe
des Lehrbuches zu
Beginn des Wintersemesters 1970/71. Dank seiner
Erfahrenheit,
seiner geistigen Präsenz und seiner Geradlinigkeit band er in
Gespräch und
vorbildlicher Korrespondenz Autoren und Herausgeber eng an
den Verlag.
Stets gegenwärtig bleiben mir unsere gemeinsamen Gespräche
mit Eduard Stiefel
in Zürich, Henry Görtler in Freiburg, Hermann Haken in
Stuttgart, Günter
Lautz in Braunschweig und Wilhelm Walcher in Marburg.
Vertrauen und
Wärme der verlegerischen Bindung kamen in den Worten zum
Ausdruck, mit
denen mich Eduard Stiefel in seinem Institut empfing: „Das
ist, wie wenn ein
alter Freund kommt.“
2. Hans-Joachim Ernst.
Der
Sohn des Inhabers der Berliner Verlagsfirma
für Bauwesen,
Wilhelm Ernst & Sohn, war 1947 von Martin Giesecke
in Leipzig für die
Geschäftsführung der von B. G. Teubner gegründeten
Tochtergesellschaft Verlag für Wissenschaft und Fachbuch in Bielefeld,
deren Aufgabe die
Verbreitung von Teubner-Werken in den westlichen
Besatzungszonen
war, gewonnen worden. Nach der Sitzverlegung des
Leipziger Verlages
und der Auflösung der Bielefelder Firma wurde Ernst
Prokurist des
Teubner-Verlages in Stuttgart und Leiter der Werbung und des
Außendienstes.
Ernst besuchte regelmäßig die Oberbaudirektoren als Leiter
der deutschen
Ingenieurschulen, die er vielfach als Autoren des Verlages
gewann und die ihn
bei der Verpflichtung fähiger Verfasser von Lehrbüchern
unterstützten. So
gewann er Autoren für zentrale Gebiete des
Maschinenbaus, der Elektrotechnik
und des Bauwesens. Die Verpflichtung
von Autoren für die überaus
erfolgreichen Lehrbücher
Brauch / Dreyer /
Haacke,
Mathematik
für Ingenieure,
und
Dobrinski / Krakau
/ Vogel,
Physik für
Ingenieure,
sowie
Holzmann / Meyer /
Schumpich,
Technische
Mechanik,
lag in seiner Hand.
Noch in den
siebziger und achtziger Jahren widmete er sich der Planung
und Entwicklung der
neugegründeten Reihe
Teubner
Studienskripten.
H.-J. Ernst war ein von den
ihm übertragenen Aufgaben begeisterter
Mitarbeiter, dessen Arbeitskraft kaum
Grenzen kannte. War er von einem
Verlagsplan überzeugt, drang er auf
Ausführung in angemessenen
Zeitgrenzen. Oft sagte er im Mitarbeiterkreis,
wenn es um wichtige
verlegerische Sachen ging: „Das muß sein, muß sein.“
Aus dem Zweiten
Weltkrieg war er als Hauptmann der Infanterie
zurückgekehrt. Sein
Einsatz für eine Sache war mitreißend, seine Disziplin
achtunggebietend,
sein Sinn für Maß und Ordnung wohltuend, seine
Aufmerksamkeit und
Höflichkeit ritterlich. Mit Siegfried Otto verstand er sich gut.
Die
Anstrengungen von H.-J. Ernst, in den achtziger Jahren den
väterlichen
Verlag Wilhelm Ernst & Sohn in Berlin mit B. G. Teubner in
Stuttgart zu
verbinden, fanden bei dem Mitinhaber des Baufachverlages
keinen
hinreichenden Rückhalt, der die Firma schließlich an den Verlag
Chemie in
Weinheim, heute im Besitz von John Wiley, verkaufte. Durch
eine Fusion von
Teubner und Wilhelm Ernst & Sohn würde ein
dominierender Verlag für das
Bauwesen mit einander ergänzenden
Programmen entstanden sein.
Dem
gesellschaftsrechtlichen
Zusammenschluß würde Siegfried Otto zweifellos seine Zustimmung
gegeben haben.
3. Hans Wegener.
Er war
Oberingenieur und Ausbildungsleiter in der
Firma
Junkers in Dessau.
Noch in den vierziger Jahren, nach Kriegsende,
trat er in den Leipziger Verlag
ein, für den er bereits als Autor tätig war.
Er genoß hohes Ansehen als der
beste technische Redakteur des
Teubner-Verlages; ein Mann von Witz, souverän
in allen Details der
Abfassung, der Stoffdarbietung und der Herstellung eines
technischen
Lehrbuches, jedem Autor ein kundiger Helfer bei der Anfertigung
technischer Zeichnungen, überlegen in allen Fragen des Umbruchs.
Die
Autoren kamen seinetwegen nach Stuttgart, um von ihm zu lernen.
Er leitete
redaktionell die Gestaltung und Herstellung von
Berufsfachkunden –
etwa der
Baufachkunde
von Kohl / Bastian
oder
Technisches
Zeichnen
von Bachmann /
Böttcher / Forberg – und
Hochschullehrbüchern, namentlich der Verlagswerke
Klein,
Einführung
in die DIN-Normen,
sowie
Wendehorst,
Bautechnische Zahlentafeln,
also der kompliziertesten
Bücher. Er war
Maschinenbauer reinsten Wassers, beherrschte aber
auch souverän die Elektrotechnik und
das Bauingenieurwesen. Jedem
Autor brachte er bei, daß Diagramme streng
nach DIN 463 zu gestalten
sind. Die Elektrotechniker nannte er intern immer
„Elektrokomiker“.
Er vermittelte mir einen wichtigen Erfahrungssatz:
„Wenn in Besprechungen über ein geplantes Buch
Friktionen
entstehen,
dann lassen Sie den Partner fahren, es wird nie etwas daraus;
brechen
Sie das Gespräch ab, dann ersparen Sie sich viel Ärger.“
Als er ins Alter
kam, konnte ich ihn für neue Aufgaben nicht mehr
erwärmen. „Herr Krämer,
sehen Sie es doch ein: ich will nicht mehr –
nur noch spazieren gehen.“
4. Martha Schlenker (1907-2004).
Sie war
1921 als junges Mädchen
bei B. G. Teubner
eingetreten und umfassend ausgebildet worden. Der von
ihr lebenslang
verehrte „Doktor“, das war der Chef Dr. Alfred Giesecke,
nahm sich ihrer an und
förderte sie. Martha Schlenker wurde firm in
Herstellung und Werbung; als
Helferin wirkte sie in der Redaktion der
Bibliotheca
Teubneriana
und erwarb sich
eine staunenswerte Titelkenntnis.
In den dreißiger Jahren wurde sie zur
Bilanzbuchhalterin ausgebildet; sie
kannte die Bilanzziffern aus Jahrzehnten. Und
sie blieb in diesem
Aufgabenkreis bis Juli 1954 im Leipziger Verlag, kam im
August 1954 zu
Teubner nach Stuttgart, wurde engste Mitarbeiterin von
Martin Giesecke,
Prokuristinmit Zuständigkeit für das Rechnungswesen
sowie für das
Personal.
Von Martha
Schlenker erfuhr ich wichtigste Interna über die Entwicklung
der Firma, das Leben
und Denken der persönlich haftenden Gesellschafter.
Ihr war die Geschichte der
Firma und ihrer Verleger bis in Einzelheiten
gegenwärtig. Im Umgang mit den
geschäftsführenden Mitgliedern des
Familienzweiges Giesecke lernte
sie, Geschäftsvorgänge sicher zu
beurteilen und Rat zu geben. Sie half mir bei
der Aufstellung der ersten
Bilanz über das Rumpfgeschäftsjahr Juli bis Dezember
1969 sowie bei
der Abfassung meines ersten
Geschäftsberichtes, den Siegfried Otto als
ausgezeichnet beurteilte. Als ich ihr für
die Unterstützung dankte, sagte
sie mir: „Die nächsten Geschäftsberichte
werden schwieriger.“
Sie bereitete
durch zentrale Dokumente, die sie noch in ihren letzten
Leipziger Jahren gesichert
hatte und zu denen auch staatliche
Notariatsverträge als Beweisunterlagen
gehörten, die späteren
Verhandlungen mit dem Leipziger Landesamt für
offene
Vermögensfragen in den neunziger Jahren vor, die ich zur Restitution
des B. G. Teubner-Grundvermögens neun Jahre lang mit unserem
Anwalt Dr.
Jörg Kees zu führen hatte.
Martha Schlenker
war sehr befriedigt, daß es im Frühjahr 1991 gelang,
den alten Leipziger
Verlag wiederzuerwerben und die vierzig Jahre
geraubte Substanz mit der
in Stuttgart gebildeten zu einer geistigen
und wirtschaftlichen Einheit zu
verbinden. Sie war bewegt, als wir 1991
vor den
Gebäuden im
Leipziger Teubner-Areal Querstraße /
Teubners Hof /
Georgiring /
Poststraße
standen, in denen sie bis 1954 als
Bilanzbuchhalterin und Sachwalterin der
Teubnerschen Firmen
gearbeitet hatte.
„Wenn das Martin Giesecke und der
Doktor noch
erfahren hätten“, sagte sie dankbar.
Als dies geschah, war Martha
Schlenker
siebzig Jahre im Verlag tätig gewesen. Zu ihrem Jubiläum
1991 übergab ich ihr ein Tetradrachmon, eine im 4. Jahrhundert v.
Chr.
geprägte Silbermünze aus Syracus mit dem Bildnis der griechischen
Quellnymphe Arethusa.
Sie
war die gewissenhafteste, am weitesten zurück- und vorausblickende
Mitarbeiterin, der ich bei B. G. Teubner begegnete – das Gewissen der
Teubnerschen Firma.
Fünfte Frage: Was sind Ihre wichtigsten Erfahrungen
beim Neuaufbau von B. G. Teubner?
Heinrich
Krämer:
Vier Wochen nach
meinem Eintritt stellte sich mir eine
verlegerische
Frage ersten Ranges, die sofort beantwortet werden mußte.
Der Firma
lag seit längerem des Manuskript eines neuen Lehrbuches vor,
das von der
Fachredaktion als nicht genügend beurteilt wurde:
Physik für
Ingenieure.
Durchschlagende Gründe für eine Ablehnung bot
mir der
Redaktionsleiter nicht. Die Autoren Paul Dobrinski, Gunter Krakau
und Anselm Vogel
hatten ein Anrecht auf eine Entscheidung. Nach
Anhörung aller
Argumente begründete ich meinen Beschluß, das Buch in
kürzester Frist zu
veröffentlichen. Der Verlag benötigte ein solches Lehrbuch.
Wenige Jahre zuvor
war die weit verbreitete
Mathematik
für Ingenieure von
Brauch / Dreyer / Haacke erschienen. Die Marktkonkurrenz war ermutigend.
Die
Physik für Ingenieure
konnte im November
1970 ausgeliefert
werden.
Sie wurde von den Fachhochschulen und von den meisten
Technischen
Hochschulen sehr günstig aufgenommen. Die mit 6.000 Exemplaren
vorsichtig disponierte Erstauflage war nach einem Jahr vergriffen; für
die
2. Auflage konnten nur Fehler korrigiert werden; erst die 3. Auflage
wurde
einer Neubearbeitung unterworfen. Das Werk entwickelte sich
über
12 Auflagen zum wichtigsten technischen Lehrbuch des Verlages mit
unangefochtener Führungsstellung auf dem Markt und einem Jahresabsatz
von mehr als 10.000 Exemplaren.
Priorität in
Planung und Programm gehörte den Lehrbüchern für Ingenieure
sowie der
angewandten Mathematik und Physik. Aus der numerischen
Mathematik, für
die Eduard Stiefel in den sechziger Jahren das erste
maßgebende
Lehrbuch mit fünf Auflagen in 15 Jahren geschaffen hatte,
entstand zu Beginn
der siebziger Jahre die Informatik (Computer Science)
als selbständige
Verlagsdisziplin. Weiteste Verbreitung fanden die
Studienbücher
Systematisches Programmieren
(das
„Plafondbändchen“
in der Sprache E. Stiefels) und
Algorithmen und Datenstrukturen
von
Niklas Wirth,
einem Schüler von
Stiefel. Die Entfaltung des Faches
Informatik in mehreren Verlagsreihen und
in der mit der Firma John Wiley
begründeten
Verlagsgemeinschaft war Günter Hotz als Herausgeber
anvertraut.
In der Physik
nahmen die
Physik der
Atomkerne
und die
Atomphysik
von
Theo Mayer-Kuckuk
eine Vorzugsstellung ein. Mit der
Hochenergiephysik
von Erich Lohrmann
bildeten diese Darstellungen eine Lehrbuchtrias über
Atomhülle,
Atomkern und Elementarteilchen – ohne Parallele auf dem
deutschen
Buchmarkt.
Abgerundet wurde
das Studienbuch-Spektrum in den achtziger Jahren durch
die neubegründete
Reihe
Teubner
Studienbücher Chemie.
Dadurch wurde
die Chemie wieder
Bestandteil der verlegerischen Arbeit. Mehrere Bände
sind mit dem
Literatur-Preis des Fonds der Chemischen Industrie als bestes
Lehrbuch des
Jahres ausgezeichnet worden:
Elschenbroich /
Salzer,
Organometallchemie
(1988),
Vögtle,
Supramolekulare Chemie
(1992),
Kaim / Schwederski,
Bioanorganische Chemie
(1993).
Die Reihe umfaßte
bis zum Jahrhundertende mehr als 30 Bände. Die
wichtigsten
naturwissenschaftlichen Fächer waren damit im Verlag
wieder vereint.
In den siebziger
Jahren nahm ich in Verbindung mit drei Herausgebern,
die als
Autoritäten wirkten, auch die Geographie als Teubnersche
Stammdisziplin
wieder in das Verlagsprogramm auf. Die von Hermann
Hettner 1895 gegründete
Geographische Zeitschrift
war
in fünfzig Jahren
der
Forschungsmittelpunkt der wissenschaftlichen Geographie und
verschaffte B. G.
Teubner den ersten Rang unter den geographischen
Fachverlagen.
In diese Tradition
traten die Herausgeber Carl Rathjens,
Christoph Borcherdt und Eugen Wirth
ein, als sie die Reihe
Teubner
Studienbücher der Geographie
gründeten, die im
Laufe eines Jahrzehnts mit 35 Neuerscheinungen die
führende Hochschulreihe in
Deutschland wurde. Das erfolgreichste
Studienbuch, mit sechs Auflagen in
zehn Jahren, war die
Allgemeine
Klimatologie
von Wolfgang Weischet.
Ein Meisterwerk
der Mathematik
konnte der Verlag in der zweiten Hälfte
der siebziger Jahre in
der von Gottfried Köthe herausgegebenen Reihe
Mathematische Leitfäden
erscheinen lassen:
das
Lehrbuch
der Analysis
in zwei Teilen von
Harro Heuser. In zwölf Auflagen, die einander in 20 Jahren
folgten,
bekleidete das Werk den ersten Rang auf dem deutschen
Hochschulmarkt. Die Lehrenden
sagten: „Jetzt ist es wieder eine Freude,
Analysis zu lesen.“
Die Entwicklung
der traditionellen Teubnerschen Fächer Elektrotechnik
und Maschinenbau wurde
belebt durch die noch im vierten Quartal 1969
begründete Reihe
Teubner
Studienskripten
mit
ausgearbeiteten
Vorlesungsniederschriften. Diese
Taschenbuchreihe, die mit den
Grundlagen
der Elektrotechnik
in drei Bänden von
Heinrich Frohne
eingeleitet wurde, umfaßte nach mehreren Aufbaujahren mehr
als
hundert Bände, in die auch eine Reihe
Soziologie, herausgegeben von
Erwin K. Scheuch, eingefügt wurde. Die Kurzlehrbuchreihe
Teubner
Studienbücher,
die am Jahrhundertende auf 250 Bände
angewachsen war, und die
Teubner
Studienskripten
boten ein
Spiegelbild der mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen
Verlagsproduktion. Sie nahmen auf der Marktebene der
studentenfreundlichen Ladenverkaufspreise eine Vorrangstellung ein.
Den Studenten des
Maschinenbaus diente die
Elektrotechnik für
Maschinenbauer
von Hermann Linse,
dem Rektor der Fachhochschule
Esslingen, als wichtigstes Lehrbuch. Das
Standardwerk von Franz Moeller,
Grundlagen
der Elektrotechnik, wurde von Heinrich
Frohne, Hans Fricke
und Paul Vaske seit 1970 kontinuierlich neu bearbeitet und
erfuhr
17 Auflagen.
Das
Bauingenieurwesen bedurfte besonderer Zuwendung. Die 1908
erstmals erschienene
Baukonstruktionslehre
von Frick / Knöll
wurde durch
neue Verfasser bearbeitet und
erweitert. Mit der 30. Auflage konnte dieses
Fundamentalwerk über die
Jahrhundertwende hinaus auch im 21. Jahrhundert
seine Marktstellung als wichtigstes
Lehrbuch besonders für Architekten
behaupten. Das Führungswerk des Bauwesens war
über acht Jahrzehnte
Wendehorst,
Bautechnische Zahlentafeln. Erstmals 1934
erschienen,
erreichte es bis zum Jahrhundertende 28 Auflagen. Es erschloß die
Bauplanung und Bautechnik nach dem jüngsten Stand der deutschen und
europäischen Normung und konnte für jede Auflage mit 30.000 bis 40.000
Exemplaren
bemessen werden. Parallel zu Wendehorst wurde in den
siebziger Jahren ein neues
Werk für den Baubetrieb geschaffen:
Hoffmann / Kremer,
Zahlentafeln für den Baubetrieb,
mit sieben Auflagen
in zwei Jahrzehnten.
Der Verlag
verfügte bis zu den neunziger Jahren auf allen konstruktiven
Gebieten des Bauwesens über
Lehrbücher ersten Ranges (Grundbau,
Massivbau, Stahlbau, Holzbau). Ein
neues konstruktives Gebiet entwickelte
sich seit Beginn der siebziger Jahre in
Forschung, Lehre und Anwendung:
die Bauphysik. In Verbindung mit
Karl Gertis, Heinrich Paschen, Heinz
Klopfer und Erich Cziesielski
begründete der Verlag in einem mehrjährigen
Planungsprozeß die Bauphysik als
neues Arbeitsgebiet. Das erste
bauphysikalische Lehrbuch hatte Teubner in Leipzig
bereits 1953
herausgegeben: Werner Cords-Parchim,
Technische
Bauhygiene.
Mittelpunkt der Planung in Stuttgart wurde eine neue
Baukonstruktionslehre
auf bauphysikalischer Grundlage. Das fundamentale Werk konnte 1985
erscheinen: Lutz / Jenisch / Klopfer / Freymuth / Krampf,
Lehrbuch
der
Bauphysik. Schall – Wärme – Feuchte – Licht – Brand.
Es erfuhr sechs
Auflagen.
Diesem ersten Teil der neuen Baukonstruktionslehre folgte fünf
Jahre später
der zweite Teil: Erich Cziesielski
(Hrsg.),
Lehrbuch
der
Hochbaukonstruktionen
(mit 19 Verfassern). Das
Werk erreichte in
rascher Folge drei Auflagen. Das gesamte Gebiet
der Bauphysik erschloß
Karl Gertis mit dem Buch
Bauphysikalische Aufgabensammlung mit
Lösungen
(1996), das in
zehn Jahren mit vier
Auflagen verbreitet wurde.
Die vereinbarten
Vorlesungen
über Bauphysik,
die lehrbuchmäßig eine
Krönung der bauphysikalischen Planung gebildet hätten,
konnte Karl Gertis
auch als Emeritus nicht mehr vollenden.
Die Entscheidungen
des Verlages auf allen technischen Arbeitsgebieten
wurden produktiv
beeinflußt durch die enge Verbindung von B. G. Teubner
mit dem Deutschen
Normenausschuß, dem späteren DIN Deutsches Institut
für Normung, die bis in die
zwanziger Jahre zurückreicht. Zum Zweck der
gemeinsamen Herausgabe des von
Martin Klein 1954 für Teubner
geschaffenen Standardwerkes
Einführung
in die DIN-Normen
schloß ich
nach
dem Tod des Verfassers 1975 mit dem DIN Deutsches
Institut für
Normung e. V. einen Gesellschaftsvertrag. Diese Bindung der beiden
Partner in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechtes, welche die
Verlagsgemeinschaft Teubner Stuttgart / Beuth Berlin begründete,
förderte die Arbeit des
Verlages in allen seinen technischen Sparten.
Der älteste
Verlagszweig Altertumswissenschaft (seit 1824) konnte für den
Neuaufbau der
Verlagsfirma in Stuttgart nach 1953 zwei Jahrzehnte lang
nicht wirtschaftlich
wirkungsvoll weiterentwickelt werden. Das erklärte ich
Siegfried Otto, der für die
Traditionspflege ein besonderes Sensorium
besaß, bereits in den ersten Jahren
unserer Zusammenarbeit. Die Pflege
dieses Verlagszweiges wurde wesentlich
dadurch behindert, daß mehr als
50% der Verlagsrechte durch den staatlich
gelenkten Leipziger Betrieb
widerrechtlich in Anspruch genommen wurden, namentlich
das Verlagsrecht
des
Thesaurus
linguae Latinae
und Rechte der
Bibliotheca
Teubneriana.
Selbst Philologe,
schlug ich erst 1973 mit dem neuen Buch
Textual
Criticism and
Editorial Technique, applicable to Greek and Latin Texts,
von Martin L. West
eine Brücke zu philologischem Neuland. Erst in den
späten siebziger Jahren
konnte ich neue Saat in die Erde bringen. Die
erste Frucht war eine neue
kritische Tacitus-Gesamtausgabe in vier Bänden.
In Verbindung mit deutschen,
italienischen, englischen und amerikanischen
Gelehrten entstand mit Beginn der
achtziger Jahre eine neue
altertumswissenschaftliche Blüte bei B. G. Teubner.
Martin L. West gab in
der
Bibliotheca
seine
Aischylos-Ausgabe
heraus, ein
Standardwerk.
D. R. Shackleton Bailey in Harvard schenkte dem Verlag, als
Ergebnis
unseres ersten Gesprächs, seine neue
Anthologia
Latina
(1982), danach
seine
Horaz-Ausgabe
(1985), die binnen
kurzem fünf Auflagen erreichte,
ein
Markstein der Horaz-Philologie. Ihr schlossen sich seine vollständige
Ausgabe der
Cicero-Korrespondenz
in vier Bänden
sowie Ausgaben des
Lucanus und Martials an. Als Krönung der
Bibliotheca
Teubnerianae
konnte nach
vieljähriger Vorbereitung ab 1998 die kritische Ausgabe des
Ilias
Homers
in zwei Bänden von Martin L. West erscheinen. Die neue
kritische
Ausgabe
Odyssea,
die West gegenwärtig vorbereitet, ist noch
in diesem
Jahrzehnt zu erwarten.
B. G. Teubner
übernahm 1990 wieder die 1892 begründete
Byzantinische Zeitschrift,
das Zentralorgan der Byzantinistik. Das
Archiv für
Papyrusforschung, 1901 begründet,
wurde unter Erweiterung
des Herausgeberkreises als Haupt- und
Referate-Organ der Papyrologie
restituiert.
Nach mehr als zwei
Jahrzehnte dauernder Vorbereitungszeit konnte der
Verlag mit Hilfe von
Reinhold Merkelbach und Rudolf Kassel das
Nachfolgewerk des Gercke /
Norden,
Einleitung
in die
Altertumswissenschaft,
1997 erscheinen lassen:
Einleitung
in die
Lateinische Philologie
(herausgegeben von
Fritz Graf) und
Einleitung
in die griechische Philologie
(herausgegeben von
Heinz-Günther
Nesselrath). Von
diesen Standardwerken wurden in wenigen Monaten
5.000 Exemplare
abgesetzt. Durch die Übernahme des Leipziger
Verlages im Jahre 1991 wurde die
gesamte philologische Substanz der
Verlagsfirma vereinigt. Die beiden nach
Ost und West geteilten Reihen
der
Bibliotheca
Teubneriana
wurden wieder
zusammengeschlossen.
Der
Thesaurus
linguae Latinae
wurde wieder in die
Obhut der
Muttergesellschaft genommen. Im Urteil der wissenschaftlichen
Welt
galt B. G. Teubner in den neunziger Jahren als der wichtigste
philologische Verlag. Wirtschaftlich fand diese Marktstellung in einem
Anteil von
mehr als 20% des Gesamtabsatzes der Teubnerschen Firma
ihren Ausdruck.
Dieser Prozeß der
Erneuerung des Verlages auf allen traditionell gepflegten
und allen neu
entwickelten Arbeitsgebieten festigte den Rang der Firma auf
dem deutschen und
internationalen Markt. Siegfried Otto begleitete diese
Aufwärtsentwicklung mit Wohlwollen, Ermutigung und kritischer Würdigung.
Er gewährte mir in
mehr als fünfundzwanzigjähriger Zusammenarbeit eine
nie eingeschränkte
unternehmerische Unabhängigkeit, welche ihm
gegenüber die tiefste
Verpflichtung einschloß.
Als
Prinzipal verkörperte Otto den Typus des Unternehmers großen Zuschnitts,
der
ein nach Leistungen und Errungenschaften unvergleichbares, einzigartiges
Unternehmen schuf.
Seine Ideen und seine geistige Präsenz übten eine sonst
nicht erfahrene
Prägungskraft aus, die in mein Leben und das Leben von
B. G. Teubner
unverlierbar hineinwirkte.
Sechste Frage: Heute überblicken Sie mehr als ein halbes
Jahrhundert
aktiver Verlagsarbeit in führenden Positionen.
Begonnen haben Sie
1956 als Redakteur in Verlag Herder.
Anschließend waren Sie bei
Goldmann Leiter des Lektorats,
Prokurist und schließlich bis 1968
Geschäftsführer, bevor Sie
über drei Jahrzehnte Teubner-Geschäftsführer
in Stuttgart
wurden, von 1991 an auch von Teubner in Leipzig.
Hinzu
kommen Ihr Wirken als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft
Wissenschaftliche Literatur der Arbeitsgemeinschaft
Wissenschaftlicher
Verleger (1973-1979), als Stellvertretender
Vorsitzender des
Bewilligungsausschusses des Förderungs- und
Beihilfefonds
Wissenschaft der VG Wort (1977-1997) und nicht
zuletzt seit 2003
als Vorsitzender bzw. Stellvertretender
Vorsitzender des Beirates der
am 21. Februar 2003 im
Haus des Buches in Leipzig gegründeten
Teubner-Stiftung.
Heinrich
Krämer:
In der
Lexikon-Redaktion des Verlages Herder in
Freiburg lernte ich mit der
Erweiterung des literarischen Horizontes auch
den sprachlichen Schliff bei der
Formulierung lexikalischer Sachverhalte, die
Pflicht zu gnomischer
Knappheit und Präzision, die für ein Literaturlexikon
oberstes Gebot ist. Ich
schrieb selber größere Artikel wie die Abhandlung
über englische Dichter des 19.
und 20. Jahrhunderts, von Gerald Mantey
Hopkins bis Ezra Pound, T. S. Eliot
und Wystan Hugh Auden.
Bei Wilhelm
Goldmann, diesem vitalen, universell erfahrenen, im Umgang
schwierigen
Leipziger Verleger in München, sammelte ich in Lektoratsleitung,
in Herstellung,
Propaganda, Vertrieb und Auslieferung alle verlegerischen
Erfahrungen, die
nötig sind, um einen Verlag mit Erfolg zu führen. Diese
Erfahrungen
erstreckten sich auf die umfassende Verlagsplanung, die
herstellungstechnische Durchführung und vertriebliche Unterstützung der
Titelproduktion,
die vom Taschenbuch bis zum anspruchsvollen
Geschichtswerk, zum Handatlas und
Weltatlas sowie zum Kunstbuch reichte.
Goldmanns GELBE Taschenbücher
entwickelten sich mit monatlich
24 Neuerscheinungen zur größten Taschenbuchreihe
mit universellem
Zuschnitt in Deutschland. Der Verlag nahm mit 120
Mitarbeitern alle
verlegerischen Funktionen wahr. Diese vieljährigen Erfahrungen kamen
mir beim Neuaufbau des Verlages B. G. Teubner zugute.
Die Tätigkeit als
Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftliche
Literatur nutzte
ich, um mit meinen Kollegen im Vorstand der Öffentlichkeit,
besonders der
journalistischen, die Eigentümlichkeiten eines
wissenschaftlichen Verlages zu
erklären und auch auf die Frage „Sind
wissenschaftliche Bücher teuer?“ eine mit
den Problemen des Lehrbuches
konfrontierende Antwort zu geben. Die
zwanzigjährige Tätigkeit im
Bewilligungsausschuß, der sich aus souverän
urteilenden Professoren und
drei Verlegern zusammensetzte, diente dem Zweck, die
Spreu vom
Weizen zu sondern und die Eximium-Arbeiten durch angemessene
Druckkostenzuschüsse zu fördern; zu ihnen gehörte z. B. die kritische
Ausgabe
der
Poetae
Comici Graeci
von Rudolf Kassel.
Siebente Frage: Welche Bedeutung hatte die Wiedervereinigung
der beiden Teile Deutschlands im Oktober 1990 für die
Firmen B. G. Teubner und Giesecke & Devrient?
Heinrich
Krämer:
Die Teubnerschen
Verlage in Ost und West waren
vierzig Jahre voneinander
getrennt. Der Leipziger Verlag wurde seit
Oktober 1952 als unter staatlicher
Regie stehender Betrieb geführt und
war dem Einfluß der nach Stuttgart
verlegten Firma B. G. Teubner bis zum
März 1991 entzogen. Der Teubner
Verlagsgesellschaft in Stuttgart wurde
durch höchstrichterliches Urteil des
Landgerichtes und Oberlandesgerichtes
Stuttgart das alleinige Recht der Firmenführung
und der Nutzung aller
Verlegerrechte sowie der Verwendung des Firmennamens
zugesprochen.
Der Leipziger Betrieb wurde nach westlichem Ordre Publique für
erloschen
erklärt. Dennoch wurde der Leipziger Verlag widerrechtlich
weitergeführt,
und er nutzte die überkommenen Verlagsrechte nach seinem
Gutdünken.
Für eine Übernahme
des Leipziger Betriebes durch B. G. Teubner Stuttgart
trat die Leitung des
Leipziger Hauses nach dem Zusammenbruch der DDR
ein. Der Erwerb des Leipziger
Verlages, der hohe Verluste erwirtschaftete
und 1990 konkursreif war, mußte im
ersten Quartal 1991 mit der
Treuhandanstalt, auf die alle
Gesellschaftsrechte aller DDR-Firmen
übergegangen waren, verhandelt werden. Der Kaufvertrag
mit der
Treuhandanstalt in Berlin wurde am 16. April 1991 geschlossen.
B. G. Teubner erwarb das Handelsgeschäft des Leipziger Verlages, also
alle Aktiva
mit sämtlichen Verlegerrechten, aber ohne die Passiva, die bei
der
Treuhandanstalt verblieben. Diese Form des Erwerbs war
die
„Sonderlösung
Teubner“.
Sie wurde nur noch ein einziges Mal angewendet,
und zwar auf den Reclam-Verlag in
Leipzig bei der Übernahme durch die
Stuttgarter
Muttergesellschaft. B. G. Teubner übernahm 21 Leipziger
Mitarbeiter. Der alte Leipziger
Teubner-Verlag wurde im Mai 1991 durch
die Treuhandanstalt liquidiert und im
Handelsregister gelöscht.
Im
Juli 1991 erwarb auch Siegfried Ottos Firma Giesecke & Devrient ihre
Stammfirma in Leipzig,
die als staatliche Wertpapierdruckerei fortbestanden
hatte. Die
Teubner-Muttergesellschaft G+D konnte ihre Tätigkeit und
Produktivität
in München und Leipzig steigern.
Durch die
Wiedervereinigung wurden alle Verlegerrechte in der '
Muttergesellschaft
B. G. Teubner Stuttgart wieder vereinigt. Die Leipziger
Tochtergesellschaft wurde neu aufgebaut. Die altertumswissenschaftlichen
Rechte
ermöglichten dem Verlag eine neue geistige und wirtschaftliche
Entwicklung auf
dem deutschen und internationalen Markt, welche die
Ertragskraft in
sehr erheblichem Umfang steigerte. So führten die neunziger
Jahre eine
Blütezeit des Verlages im altertumswissenschaftlichen Fach
herbei. B. G. Teubner nahm
wieder den Rang der wichtigsten
altertumswissenschaftlichen Verlagsfima ein.
Parallel zum
Neuaufbau des Leipziger Verlages vollzogen sich die
Verhandlungen mit
dem Sächsischen Landesamt zur Regelung offener
Vermögensfragen
über die Restitution des großen
Teubnerschen
Grundbesitzes am Georgiring, in
der
Poststraße und der Querstraße
sowie in Teubners Hof. Sie
erstreckte sich über neun Jahre (1991-1999).
Es gelang uns, gemeinsam mit dem
Anwalt Dr. Jörg Kees, teilweise in
Verbindung mit Jürgen Nehls,
Geschäftsführer von Giesecke & Devrient,
erhebliche Restitutionserlöse
zu erzielen. Eine Gesamtrestitution des
Teubnerschen
Grundvermögens von 39,4 Millionen D-Mark konnte
der Muttergesellschaft G+D
zur Verfügung gestellt werden.
Für diesen Wert galt Steuerfreiheit. Siegfried Otto
berichtete ich in unseren
Gesprächen bis vor seinem Tode über den Gang und
die Ergebnisse der
Verhandlungen. Die Größenordnung der Resultate
befriedigte ihn.
Sie zeigten ihm auch den großen Wert, den die Firma B.
G. Teubner
verkörperte.
Achte Frage: Dies
ist seit 2011 Ihr sechstes Buch im
Wissenschaftsverlag „Edition am Gutenbergplatz Leipzig“ .
Heinrich
Krämer:
Ich habe wichtige
Themen der Teubnerschen
Verlagsgeschichte
und der Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts in
meinen Büchern behandelt.
Mein Wunsch war es, eine Ideen- und
Realgeschichte des Verlages B. G.
Teubner in seinem zweiten
Jahrhundert zu schreiben. Die
Firmengeschichtsschreibung endet 1911
mit dem hundertjährigen Jubiläum der
Teubner-Firmengründung am
21. Februar 1811 in Leipzig. Meine Bücher sind
Bruchstücke einer
Konfession zur Teubnerschen Existenz.
Pünktlich zum zweihundertsten Jahrestag erschienen am 21. Februar 2011
drei
Bände im
unabhängigen Wissenschaftsverlag Edition am
Gutenbergplatz Leipzig
(Verlagsname abgekürzt: EAGLE):
-
Krämer,
Neun Gelehrtenleben am Abgrund der Macht.
Der Verlagskatalog B. G. Teubner, Leipzig – Berlin 1933.
Leipzig 2011. EAGLE 048.
http://www.eagle-leipzig.de/048-kraemer.htm
-
Krämer,
Die Altertumswissenschaft und der Verlag B. G. Teubner.
Leipzig 2011. EAGLE 049.
http://www.eagle-leipzig.de/049-kraemer.htm
-
Krämer / Weiß,
„Wissenschaft und geistige Bildung kräftig fördern“.
Zweihundert Jahre B. G. Teubner 1811-2011.
Leipzig 2011. EAGLE 050.
http://www.eagle-leipzig.de/050-kraemer-weiss.htm
Anschließend folgten:
-
Krämer,
In der sächsischen Kutsche.
Der Firmengründer B. G. Teubner und seine Nachfolger
A. Ackermann-Teubner und A.
Giesecke-Teubner.
Leipzig 2012. EAGLE 056.
http://www.eagle-leipzig.de/056-kraemer.htm
-
Krämer,
Teubnerianae.
Vorträge und Aufsätze.
Leipzig 2013. EAGLE 066.
http://www.eagle-leipzig.de/066-kraemer.htm
-
Krämer / Weiß,
Siegfried Otto (1914-1997).
Prinzipal von Giesecke & Devrient und B. G. Teubner.
Leipzig 2014. EAGLE 075.
http://www.eagle-leipzig.de/075-kraemer-weiss.htm
Neunte Frage:
„Zukunft braucht Herkunft.“ Sie betonten,
daß Siegfried
Otto aus dieser Einsicht gelebt hat, wie die
Firmengründer und
Vorgänger von Giesecke & Devrient.
Heinrich
Krämer:
Mein
philosophischer Lehrer Joachim Ritter in
Münster hat in seinen
Seminaren 1949/1950 das aristotelisch fundierte
Wort
„Zukunft braucht Herkunft“
gerne gebraucht. Ich habe diese
Erkenntnis auf Leben und
Leistung von Siegfried Otto angewendet, um
zu erklären, in wie hohem Maße
die Entwicklung eines Unternehmens von
dessen verpflichtender
Überlieferung abhängt. Otto hat dem Ingenium der
Verleger-Persönlichkeit von Alfred Giesecke, dem er ja nicht nur als Haupt
von B. G. Teubner,
sondern auch als dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates
von Giesecke &
Devrient begegnete, seine bleibende Verehrung
entgegengebracht.
Die Familienüberlieferung, der er durch seine Ehe mit
Jutta Devrient,
der 1921 in Leipzig geborenen Tochter des letzten
Firmeninhabers und
Vorstandsvorsitzenden, Ludwig Devrient, angehörte,
begründete seine
geistige Heimat, die ihm die Lebenspflicht auferlegte.
Diese Pflicht war
ihm Freude.
Hermann Giesecke
und Alphonse Devrient gründeten 1852 eine Buch- und
Kunstdruckerei mit
bald angeschlossenen Abteilungen für Lithographie
und Steindruck
sowie für Kupfer- und Stahldruck. Die junge Firma vereinigte
alle damals
gepflegten Zweige der graphischen Künste und zeichnete alle
ihre Leistungen
durch eine besondere, international preisgekrönte Qualität
aus. Zu den
anspruchsvollsten Arbeiten des „Etablissements von Giesecke
& Devrient in Leipzig“
gehörte der Druck der Handschrift des
Codex
Sinaiticus
(4. Jh.) durch Wiedergabe
in einer typographischen Nachahmung,
'den der Theologe Konstantin von
Tischendorf in Auftrag gab und 1862
Alexander II., Kaiser von Rußland, widmete
(22 Bücher des Alten und
29 Bücher des Neuen Testaments; heute im
Britischen Museum, London).
Der höchste Qualitätsanspruch, den Giesecke &
Devrient, um das
Vertrauen seiner Kunden zu mehren, forderte und durch seine
Produkte,
namentlich Banknoten und Wertpapiere, erfüllte, prägte auch das
Denken,
das Urteil und die Entscheidungen von Siegfried Otto.
„Besser sein als die
anderen“ – durch diese achilleische Tugend schuf er das
Grundgesetz
seiner Firma und ihrer Mitarbeiter.
Dem typographischen Privatinstitut,
das
sich auf alle Zweige der Druckerkunst ausdehnte, verschaffte Otto in der
wiederbegründeten Firma in München, durch den Einsatz neuer
technischer
Erfindungen, neu konstruierter Druckmaschinen und einer
einzigartigen
Fertigungsanlage für die Herstellung von Banknotenpapier
eine Renaissance, die
höchsten Ansprüchen im Stahlstich und
Linientiefdruck sowie in der
Wasserzeichenschöpfung genügte.
Kernprodukt waren der nach einem Bildnis Dürers
geschaffene, ein
halbes Jahr zu seiner Vollendung benötigende Stahlstich und das
im
Kupfersieb gefertigte Wasserzeichen im Banknotenpapier, die
Hauptbestandteile der Banknote.
Überlieferung:
das ist die Wurzel, die den Baum hält, sein Geäst und Blatt,
seine Blüte und
Frucht aufbaut.
Herkunft:
das ist die Quelle, die Bach und
Fluß zu Wege
bringt, das Land bewässert und die Landschaft formt.
Zehnte Frage: Sie
haben, bereits im Ruhestand, 1999 den
Verkauf von B. G. Teubner an Bertelsmann miterlebt.
Was hätte
Siegfried Otto wohl dazu gesagt?
Heinrich
Krämer:
Dazu muß ich
Gespräche mit Siegfried Otto aus
dreißig Jahren
zusammenfassen. Zum erstenmal sprachen wir über
Kooperation und Firmenerwerb im
September 1969. Gegenstand war
das Angebot an
B. G.
Teubner, den Verlag Friedrich Vieweg & Sohn,
Braunschweig, zu
erwerben.
Beide Verlage waren bereits seit Beginn
der sechziger Jahre durch Gespräche
miteinander verbunden, die
Martin Giesecke mit dem Inhaber von Vieweg, Herrn
Fritz Anton
Waldaukat, über eine Zusammenarbeit beim Aufbau einer
gemeinsamen Studienbuchreihe geführt hatte. Nach dem Tod von
Martin Giesecke
kaufte Robert Maxwell, ein englischer
Zeitschriftenverleger tschechischer
Abstammung in Oxford, Inhaber
der Pergamon Press, den Vieweg-Verlag und
wollte ihn wieder
verkaufen. Zur Prüfung des Angebotes besuchte ich
gemeinsam mit
Erich Ackermann im September 1969 Vieweg
im
Braunschweiger
Vieweg-Haus am Burgplatz.
Der geforderte Preis von vier Millionen
DM
schien weit überhöht. Wir verzichteten. Auch schien mir der Erwerb
in der
ersten Phase des Neuaufbaus von Teubner verfrüht; ich hatte in
Stuttgart genügend
Sorgen. Drei Jahre später wäre ich eher zur
Übernahme von Vieweg geneigt
gewesen. Erst 1974
erwarb
Bertelsmann den Vieweg-Verlag.
Meine Ablehnung
fand das volle
Verständnis von Siegfried Otto. Die Chance, einen namhaften
Konkurrenz-Verlag an Teubner zu binden, erschien ihm gleichwohl
erwägenswert.
Zu Beginn der
siebziger Jahre lernte ich auf der Frankfurter Buchmesse
den wissenschaftlichen
Direktor des Verlages John Wiley & Sons, New
York, Dr. Eric Proskauer,
kennen. Er fragte mich spontan: „Warum
arbeiten Wiley
und
Teubner nicht zusammen?
Ich wollte immer das
Teubner-Standardwerk, die
Praktische
Physik
von Kohlrausch, ins
Englische übersetzen. Ich bin doch,
ein alter
Leipziger, im Schatten von
B. G. Teubner groß geworden.“ Dieses Gespräch war
folgebildend.
Es leitete die Zusammenarbeit der Firmen ein. Ich lud den
Geschäftsführer der Tochtergesellschaft von Wiley in Chichester,
Adrian Higham, zu
Besprechungen nach Stuttgart ein. Als ich ihn zum
Flugplatz brachte,
rief er plötzlich, zum Himmel zeigend: „A hawk!“
Der aufsteigende
Bussard erschien ihm als gutes Zeichen unserer
erwünschten Zusammenarbeit.
Zu Beginn der achtziger Jahre
schlossen wir in Chichester den
Vertrag über die Bildung einer
Verlagsgemeinschaft
zur Herausgabe einer Reihe von Monographien
über Computerwissenschaften und ihre Anwendung, verfaßt von
deutschen
Autoren von B. G. Teubner unter der Herausgeberschaft von
Günter Hotz
und dreier französischer, englischer und amerikanischer
Kollegen (aus Paris,
Glasgow, Yale). Es war das einzige
Gemeinschaftsunternehmen zwischen Wiley und
einem deutschen
Verlag. Die Zusammenarbeit wurde in den neunziger Jahren
durch einen
erweiterten Vertrag intensiviert. Brad Wiley,
Mehrheitsgesellschafter,
bestätigte mir in einem Abendgespräch auf der Frankfurter
Buchmesse
im Jahre 1994 sein großes Interesse an einer rechtlichen Bindung
zwischen
Wiley und Teubner bzw. einer wechselseitigen Beteiligung der
Firmen Wiley
und Giesecke & Devrient. Siegfried Otto war sehr befriedigt
über die von mir
zu Wege gebrachte Zusammenarbeit; ihm gefiel die
Kooperationder
wirtschaftlich unabhängigen Firma B. G. Teubner mit
dem großen
amerikanischen Partner. Einer gesellschaftsrechtlichen
Bindung der beiden Firmen
neigte er jedoch nicht zu.
Kaufinteressenten für B. G. Teubner gab es in den achtziger und
neunziger Jahren
mehrere, aus dem Inland und dem Ausland. Zu
den Kaufwilligen gehörte auch
Bertelsmann.
Siegfried Otto machte
mir jeweils Mitteilung und bat um meine Beurteilung.
Dann teilte er den
Korrespondenzpartnern seine Ablehnung mit und wies stets
auf die für
die Aufwärtsentwicklung des Verlages B. G. Teubner mit
seinen
spezifischen Arbeitsgebieten so wichtige Unabhängigkeit
hin. Das
Kaufangebot eines holländischen Verlages, das ein Geschäftsführer
von Giesecke & Devrient unterstützte, lehnte S. Otto noch im Herbst
1994 auf
der Sitzung des Aufsichtsrates ab. Auch 1996, in Ottos
letztem Lebensjahr,
wurde dem holländischen Verlag, der abermals
eine
gesellschaftsrechtliche Bindung anstrebte, eine Abfuhr zuteil.
Diese Erfahrungen erlauben es mir, den sicheren Schluß zu ziehen,
daß
Siegfried Otto einem Verkauf von B. G. Teubner
seine Zustimmung versagt hätte. Das
Treuegelöbnis
bestimmte Siegfried Otto, B. G. Teubner als ein auf Dauer mit
Giesecke & Devrient verbundenes Firmeneigentum zu erhalten.
Diese zehn Fragen /
Antworten vom August 2014 sind komplett
enthalten in dem im Oktober 2014 in Leipzig erschienenen Buch EAGLE 075,
auf den Seiten 15-42 (zusammen mit 48 Abbildungen, viele davon in Farbe):
NEU zu Siegfried Ottos 100. Geburtstag, Leipzig 2014: Heinrich Krämer / Jürgen Weiß: SIEGFRIED OTTO (1914-1997). Prinzipal von Giesecke & Devrient und B. G. Teubner. http://www.eagle-leipzig.de/075-kraemer-weiss.htm ... Siegfried Otto. Gründer der Firma Giesecke & Devrient in München. Siegfried Otto und Giesecke & Devrient. Stemma Giesecke & Devrient: Gegründet 1852 in Leipzig; 1889 in Berlin. Siegfried Otto und B. G. Teubner. Aus einem Interview mit Heinrich Krämer. Schwieberdingen, im August 2014. Fragen 1 bis 10. Index. @@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@ |
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Edition am Gutenbergplatz
Leipzig 2014.
www.eagle-leipzig.de 1. Aufl. Buchreihe: EAGLE-ESSAY. HARDCOVER. |
43 S. 15,5
cm x 22 cm. 19,50 EUR. EAGLE 075. ISBN 978-3-937219-75-2 |
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Krämer,
Heinrich: Vorwort zum Band "Wechselwirkungen" (Stuttgart 1986)
...
Krämer,
Heinrich: In einer sächsischen Kutsche (1990) ...
Krämer,
Heinrich: Vorrede zur ersten Lectio Teubneriana Leipzig, Alte Handelsbörse (8.
Mai 1992) ...
Krämer,
Heinrich:
Rede
für Siegfried Otto bei der Trauerfeier am 27. August 1997
im Innenhof der
Firma Giesecke & Devrient München ...
Erstveröffentlichung online am 27.08.2002
unter www.stiftung-teubner-leipzig.de
Krämer,
Heinrich: Siegfried Otto - Gründer der Firma Giesecke & Devrient in München.
Zu seinem fünften Todestag ...
Erstveröffentlichung online am
30.09.2002 unter www.stiftung-teubner-leipzig.de
Krämer, Heinrich: Die Wiedervereinigung der Verlagsfirmen B. G. Teubner
in Stuttgart und Leipzig 1991: "Sonderlösung Teubner" ...
Erstveröffentlichung online am
17.03.2003 unter www.stiftung-teubner-leipzig.de
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Dieses Interview wird hier schrittweise online fortgesetzt,
unter:
www.teubner-stiftung.eu/interview-kraemer-heinrich.htm
24.10.2014 /
Elfte Frage: Gab es in den fünfziger Jahren
Verhandlungen
zwischen B. G. Teubner und E. Klett?
Heinrich Krämer:
Martin Giesecke autorisierte den Klett-Verlag – der
in
den dreißiger Jahren Teubner-Schulbücher in Württemberg
ausgeliefert
hatte –, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Lizenzausgaben von
zahlreichen Teubner-Verlagswerken in der amerikanischen Besatzungszone
zu
verbreiten. Diese Lizenzen wurden für nicht wenige Werke widerrufen,
als B. G. Teubner in Leipzig 1948 den Verlag für Wissenschaft und
Fachbuch in
Bielefeld gründete.
Nach der Sitzverlegung der Firma B. G. Teubner von Leipzig nach
Stuttgart
im Jahr 1952 mußte zwischen den Partnern darüber befunden und
entschieden werden, ob lizenzierte Titel bei Klett verbleiben oder von
Teubner
als Originalverlag wieder beansprucht werden sollten.
Die meisten
Lizenzrechte erloschen; wenige für Schule und Studium
wichtige Titel aber
gingen in das Eigentum von Klett über, namentlich der
berühmte „Taschen-Heinichen-Lateinisch-deutsches
Wörterbuch“ (1932)
und die „Lateinische Sprachlehre“ von
Habenstein-Röttger (siebente
Auflage 1942; Klett: 1.
Auflage 1962) sowie das lateinische Unterrichtswerk
„Ludus Latinus“. Ernst Klett
strebte seiner Natur gemäß den Aufbau eines
alle Unterrichtsfächer umfassenden
Schulbuchverlages nach Teubnerschem
Vorbild an, und er verband sich
nach dem Kriegsende mit
Dr. Hans Ehlers,
früher Verlagsdirektor und Mitglied der
Geschäftsführung von B. G. Teubner,
dem ersten Redaktionsleiter
und Mitarbeiter von Alfred Giesecke-Teubner.
Er half Ernst Klett, die
Lebensaufgabe zu erfüllen.
Ehlers
vermittelte auch die Gespräche zwischen Ernst Klett und Martin
Giesecke. Springender
Punkt war der von Ernst Klett gewünschte Aufbau
einer
mathematisch-naturwissenschaftlichen Schulbuch-Redaktion, die auf
Teubner-Lizenzen, wie Grimsehl,
„Lehrbuch der Physik“, und Lambacher-
Schweizer, „Mathematisches Unterrichtswerk“ zurückgreifen konnte. Ehlers
führte Klett vor Augen, eine
solche Redaktion koste ihn eine Investition von
einer Million DM. Er wies deshalb
auf Dr. Herbert Heisig hin, der seit 1933
zwölf Jahre lang die
mathematisch-naturwissenschaftliche Redaktion bei
B. G. Teubner geleitet habe und der nun mit
Martin Giesecke als dessen
Verlagsdirektor im Teubnerschen Verlag in
Stuttgart tätig sei. Davon könne
er, Klett, doch profitieren, wenn es gelänge, diesen
erfahrenen Mann für die
Entwicklung einer Schulbuch-Redaktion zu gewinnen. Die
gesamte
Entwicklungsarbeit könne dann bei B. G. Teubner liegen, und die
Vertriebsarbeit falle Klett zu. Dieser Gedanke gefiel Ernst Klett.
So kam das
Gespräch zwischen Ernst Klett und Martin Giesecke zustande.
Die Gründung
einer Verlagsgemeinschaft Klett-Teubner war das Ziel.
Diese Gemeinschaft
würde – wie früher B. G. Teubner zwischen 1924 und
1945 – in der
Bundesrepublik die Führung auf dem Schulbuchmarkt
übernommen haben. Wohl aus
folgenden Gründen gelang die Gründung
einer Verlagsgemeinschaft nicht: Martin Giesecke wird befürchtet haben,
daß er für den Neuaufbau
eines
Schulbuch-Verlages in der Stuttgarter
Aufbauphase der Teubnerschen Firma nicht über hinreichendes Kapital
werde verfügen können, mit der Gefahr
eines
Ungleichgewichtes zwischen
den beiden Verlagen. Vielleicht wäre auch Dr. Heisig, der sich der
wissenschaftlichen Mathematik zum
Aufbau dieser Disziplin
widmete, nicht
bereit gewesen, nochmals ein neues
Schulbuchgeschäft zu steuern; auch
wäre eine Kollision der
Verlagsinteressen wohl nicht vermeidbar gewesen.
Ein
vorherrschender Grund für die nicht gelungene Zusammenarbeit werden,
wie ich vermute, die gegensätzlichen Charaktere der beiden
Unternehmer
gewesen sein.
Ich kenne Ernst Klett aus Gesprächen in 25 Jahren als vorwärtsdrängende,
entschlußfreudige Natur, die mir Respekt und Anerkennung einflößte. Mit ihm
würde ich ein Zusammengehen gewagt haben. Ich kannte Martin Giesecke
durch genaue Berichte derer, die mit ihm zusammenwirkten, besonders
seines Vetters Siegfried Otto, Inhaber der mit B. G. Teubner verwandten
Firma Giesecke & Devrient. Martin Giesecke hat die große Bürde vielfacher
Risiken inmitten volkseigener Betriebe getragen, die seine Privatfirma
B. G. Teubner existentiell bedrohten. Davor schützte er sein Unternehmen
bis zum erzwungenen Weggang 1952. In Stuttgart war er stets bestrebt,
seine Verlagsgesellschaft von Risiken freizuhalten. Er war ein umsichtig
Prüfender und bedachtsam Handelnder. Sein Handeln trug ihm die nötigen
Bilanzgewinne ein und verschaffte ihm unternehmerische Freiheit. Eine
Zusammenarbeit mit Klett muß er als Risiko empfunden haben.
Die
gegensätzlich angelegten Naturen der Firmeninhaber müssen dem
gemeinsamen Neubeginn einer Verlagsgemeinschaft Klett-Teubner im
Wege gestanden haben.
Siehe auch:
www.eagle-leipzig.de/heinrich-kraemer.htm
Siehe auch:
Leipziger Manuskripte ...
Siehe auch:
ERNST GRIMSEHL
(1861-1914). Erfolgreicher Autor bei B. G. Teubner ...
Seite
aktualisiert / erweitert:
09.11.2014;
31.10.2014;
25.10.2014.
Seite eröffnet: Leipzig,
24.10.2014.
©
Stiftung Benedictus Gotthelf Teubner Leipzig / Dresden / Berlin / Stuttgart 2014.
Die Teubner-Stiftung wirkt gemeinnützig. Sie fördert Wissenschaft und Forschung
im Sinne von B. G. Teubner.
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